Wer es einmal bis nach Villa O’Higgins, dem südlichsten Ort an der Carretera Austral, geschafft hat, dem stehen für die Weiterreise zwei Optionen offen: entweder auf dem gleichen Weg wieder zurück nach Norden oder mit dem Boot und zu Fuss über die Grenze nach El Chaltén in Argentinien. Unsere Entscheidung liegt in diesem Fall auf der Hand. Neben dem abenteuerlichen Grenzübergang bietet sich ausserdem die Gelegenheit, die Tour um einen Abstecher zum O’Higgins-Gletscher zu ergänzen.
In Bahia Bahamondez, dem tatsächlichen Ende der Carretera Austral, besteigen wir das Boot, welches uns in drei Stunden zunächst nach Candelario Mansillo bringt, wo wir nach der Gletscher-Tour übernachten werden. Die zweistündige Weiterfahrt bis zum Gletscher verbringen wir trotz Wind und Kälte an Deck, denn die vorbeiziehende Landschaft ist einfach atemberaubend. Je näher wir dem in den See kalbenden Gletscher kommen, desto mehr Eisberge treiben im türkisblauen Wasser. Dem Gletscher mit seiner etwa 80m hohen Eiswand können wir uns als einziges Schiff mit knapp 20 Passagieren nähern. Die Anblicke auf stahlblaue Eis sind absolut überwältigend – etwas vom eindrücklichsten, das wir je gesehen haben. Währenddem der Kapitän das Boot der Eiswand entlang steuert, können wir mehrere Male einen Abbruch beobachten, was mit einem lauten Krachen und einer Flutwelle verbunden ist, welche auch das Schiff schaukeln lässt. Zum krönenden Abschluss wird uns ein Whisky mit Eis serviert, welches natürlich von im See treibenden Gletscherresten stammt. Das im Alkohol schmelzende Eis bringt uns etwas ins Grübeln: wie viele tausend Jahre musste dieses wohl durch das Inlandeis und den O’Higgins-Gletscher wandern, um nun in unseren Gläsern zu schwimmen? Einmal mehr auf dieser Reise wird uns vor Augen geführt, wie nichtig und klein wir Menschen doch sind.
Nach diesem absolut eindrücklichen Erlebnis kehren wir zurück nach Candelario Mansillo, wo wir die Nacht verbringen. Hier leben den Sommer durch fünf Leute, im Winter jemand alleine… Tags darauf schultern wir unsere Rucksäcke mit unserem gesamten Gepäck – ein ziemliches Gewicht, das wir den ganzen Tag schleppen müssen! Am chilenischen Grenzposten arbeiten trotz der Abgeschiedenheit erstaunlich viele Beamte. Wir plaudern etwas mit den freundlichen Angestellten, bevor wir langsam den Pass emporsteigen. Bis zur tatsächlichen Grenze wandern wir noch auf einem Kiessträsschen durch eine wundervolle Landschaft. An der Grenzlinie verlassen wir nicht nur Chile, sondern auch die Strasse und wechseln auf einen schönen Wanderweg. Zwischendurch müssen wir uns mit den schweren Rucksäcken über kleine Bäche und matschigen Untergrund balancieren. Kurz vor dem Ziel blicken wir auf den Lago del Desierto und im Hintergrund zeigt sich für einige Sekunden der imposante Cerro Fitz Roy. Die Einreiseformalitäten erledigen wir bei einem superfreundlichen Zöllner in einem spartanischen Büro: es gibt einen Tisch, drei Stühle, ein Registrationsbuch und einen Stempel. Völlig geschafft von den 22km lassen wir die Rucksäcke zu Boden fallen, welche sich mittlerweile zentnerschwer anfühlen, und warten auf das Boot, welches uns über den See bringt. An Bord erwarten uns wieder herrliche Ausblicke und nach der Busfahrt nach El Chaltén werden wir vom Fitz Roy gebührend empfangen.
Tipps für’s Bordercrossing
Wir empfehlen, die Schifffahrt nach Candelario Mansillio zu reservieren. Die genauen Informationen (auch zum restlichen Bordercrossing) finden sich auf der Webseite von Villa O’Higgins Expediciones, die Buchung nimmt man dann aber am besten über den Veranstalter, Robinson Crusoe, vor. Es gibt noch ein zweites, kleineres Schiff, zu diesem wissen wir aber nicht mehr. In Candelario Mansillo gibt es einen Campingplatz sowie eine Unterkunft. Wir haben pro Person CLP 19000 für Übernachtung inkl. leckerem Abendessen und Frühstück bezahlt. Eine Reservierung ist nicht unbedingt nötig. In dieser Unterkunft kann allenfalls auch ein Transport mit Traktor und Pferd organisiert werden. Der Wanderweg führt über 22km. Die ersten 16km auf chilenischer Seite sind ein Kiessträsschen und am Anfang führt es den Berg hinauf. Die letzten 6km auf argentinischer Seite sind ein schöner Wanderweg, der aber auch etwas matschig sein kann. Insgesamt ist die Wanderung nicht besonders schwierig, ist aber mit dem schweren Gepäck relativ anstrengend.
Das Schiff auf dem Lago del Desierto und der Bus weiter nach El Chaltén sollte reserviert werden. Dies kann ebenfalls über Robinson Crusoe gemacht und bereits bezahlt werden. Der Bus nach El Chaltén fährt ab, sobald alle Passagiere da sind. In El Chaltén in der Hauptsaison unbedingt eine Unterkunft reservieren!
Kommentare
1 KommentarHeinrich Aberham
Feb 26, 2020Einfach toll geschildert, sehr informativ und tolle Bilder. Danke!