Auf diesem viertägigen Trekking rund um den Cerro Huemul wird einem nichts geschenkt und es wird einem einiges abverlangt. Es gilt, kniehohe Bäche barfuss zu durchwaten, reissende Gletscherflüsse an einem Stahlseil zu überqueren, über Moränen-Geröll zu stolpern, steile Pässe zu erklimmen und auf halsbrecherischen Wegen ins Tal zu schlittern.
Um dieses Trekking Angriff zu nehmen, muss man sich bei der Nationalparkbehörde registrieren, welche die Ausrüstung kontrolliert. Neben Campingmaterial muss das entsprechende Equipment für die Flussüberquerungen am Stahlseil (oder hier: Tyrolesa) mitgebracht werden. Da Klettergurt, Karabiner und Seil natürlich nicht zu unserer Standardausrüstung gehört, mieten wir dieses in El Chaltén. Die nervenaufreibende Suche nach dem Material hinter uns, liegt der erste Wandertag vor uns.
Tag 1: El Chaltén – Laguna Toro
Die erste Etappe führt uns durch einen zauberhaften Wald und über matschige Wiesen auf eine Anhöhe, von wo aus wir einen wunderbaren Blick auf den Viedma-See, El Chaltén und die vor uns liegende Königsetappe vom nächsten Tag haben. Anschliessend führt der Weg hinunter zur Talsohle. Frohen Mutes wähnen wir uns bereits im Camp, als uns ein mächtiger Fluss den Weg versperrt. Wir sehen zwar ein Seil, an dem man sich festhalten könnte, doch die Strömung scheint uns zu stark. Eineinhalb Stunden irren wir durch die Gegend auf der Suche nach einem anderen Weg – vergeblich. Völlig frustriert setzen wir uns an den Wegrand, als ein anderer Wanderer vorbeikommt (später stellt sich heraus, dass er aus dem Jura kommt). Er habe mit anderen Leuten gesprochen und diese Flussquerung muss wohl so sein. Er krempelt seine Hosen hoch, wechselt auf ein paar ausgelatschte Turnschuhe und durchwatet den Fluss. So geht das! Wir machen es ihm nach und tatsächlich: einfacher als gedacht gelangen wir auf die andere Seite. Der Weg gleicht eher einem Bach, weshalb wir die Schuhe gleich für einen Moment auf dem Rucksack lassen. Kaum haben wir diese wieder angezogen, wartet der nächste Bach, welchen wir nun fast schon routiniert durchqueren. Frei nach dem Motto «Aller guten Dinge sind drei» steht vor uns noch eine letzte Querung, welche zwar nicht besonders tief ist, aber das Gletscherwasser ist eiskalt. Kurz darauf erreichen wir das Camp bei der Lagune Toro, wo wir unser Zelt aufstellen und darüber lachen, dass wir wegen dieser kleinen Flussquerung beinahe schon aufgegeben hätten…
Tag 2: Laguna Toro – Refugio Paso del Viento
Der heutige Tag markiert die Königsetappe, entsprechend früh hüpfen wir aus den Federn. Der Tag verspricht ein guter zu werden: die Sonne brennt vom Himmel und es ist praktisch kein Wind zu spüren – das will hier in Patagonien schon etwas heissen! Wir wandern eine knappe Stunde über die Felsen, als wir zum Gletscherfluss mit dem Stahlseil gelangen. Wir schlüpfen in unsere Klettergurte und Gian gelangt als erster problemlos auf die andere Seite. Nachdem Gian die beiden Rucksäcke zu sich herübergezogen hat, hangelt sich Irene über die kleine Schlucht. Dank diesem Prozedere gelingt uns die Tyrolesa mühelos, trotzdem schütten wir einiges an Adrenalin aus. Nachdem wir diese erste Herausforderung gemeistert haben, müssen wir uns über loses Geröll entlang der Gletschermoräne des Gletschers Tunel kämpfen. Das Laufen über den rutschigen Untergrund ist äusserst anstrengend, aber so ersparen wir uns den Gang auf dem Gletscher mit den unzähligen Spalten. Als nächstes steht uns der Paso del Viento bevor, dessen Aufstieg unglaublich steil ist. Die schweren Rücksäcke verwandeln jeden noch so kleinen Absatz in einen regelrechten Kraftakt für die Oberschenkel. Doch mit jedem Höhenmeter, den wir gewinnen, wird die Aussicht auf die umliegenden Berge mit ihren Gletschern eindrücklicher. Und dann gelangen wir unverhofft über die letzte Anhöhe und wir stehen oben auf dem Pass. Die Aussicht verschlägt uns fast die Sprache und lässt sich mit Worten kaum beschreiben: unter dem stahlblauen Himmel breitet sich vor uns der Viedma-Gletscher welcher direkt aus dem patagonischen Inlandeis (Campo Hielo Sur) entspringt. Im Hintergrund ragt eine schroffe und zerklüftete Bergkette in den Himmel, welche von blendendem Schnee und Eis bedeckt ist, sodass man die Felsen darunter nicht mehr erkennen kann. Dank der Windstille und den angenehmen Temperaturen verweilen wir lange auf dem Pass und geniessen den Blick in diese abgeschiedene und ursprüngliche Landschaft. Nachdem wir uns einigermassen sattgesehen haben, steigen wir ab zu Refugio Paso del Viento. Wunderschön gelegen an einem kleinen See stellen wir unser Zelt auf und essen in dem kleinen Unterstand zu Abend. Wir tauschen uns etwas mit den anderen Wanderern auf der Route aus; wir sind etwa zehn Leute, die den Huemul-Trek gleichzeitig begehen.
Tag 3: Refugio Paso del Viento – Bahia Tempanos
Der Weg führt zunächst schön coupiert oberhalb des Viedma-Gletschers entlang und führt dann immer steiler bis zum Huemul-Pass hoch. Nach einiger Anstrengung kommen wir oben an und geniessen die Aussicht auf den Viedma-See, bevor wir uns auf den berühmt-berüchtigten Abstieg wagen. Der Weg fällt so steil ab, dass einem der See mit den darin schwimmenden Eisbergen direkt zu Füssen liegen scheint. Durch Dickicht führt der Weg fast überhängend zur Talsohle, der rutschige und staubige Untergrund macht die Angelegenheit nicht gerade einfacher. Eine besonders steile Stelle ist gar mit einem Seil ausgerüstet, an welchem man sich festhalten kann. Dies ist bestimmt der steilste und schwierigste Abstieg, den wir je zu überwinden hatten, das grosse Gewicht auf dem Rücken macht die Sache auch nicht gerade einfacher. Mit Schlotter-Knien und brennenden Oberschenkeln stehen wir 1.5h später endlich unten im Tal. Doch wo ist der Campingplatz? Gemeinsam mit den anderen Wanderern suchen wir über eine Stunde nach dem Zeltplatz, welcher auf jeder Karte an einem anderen Ort eingezeichnet ist. Müde und mit den Nerven am Ende geben wir auf und stellen unser Zelt an den geeignetsten Ort (welcher sich im Nachhinein als der tatsächliche Zeltplatz herausstellt). Da für die Nacht ziemlich viel Wind vorausgesagt wurde, bauen wir mit totem Holz behelfsmässig einen Windschutz, bevor wir die Aussicht auf den Viedma-Gletscher mit den letzten Sonnenstrahlen geniessen. Wir hören immer wieder das Auseinandersprengen der Eisberge direkt hinter dem Hügel, welches mit einem lauten Krachen einhergeht.
Tag 4: Bahia Tempanos – El Chaltén
Trotz aller Befürchtungen verbringen wir eine ruhige und erstaunlich warme Nacht am Fusse des Huemul-Passes. Der Wanderweg führt heute zunächst dem Viedma-See entlang und führt dann auf eine wunderschöne Anhöhe mit Wiesen und einigen Sträuchern. Die Ausblicke sind faszinierend, der Wind peitscht uns jedoch entgegen und die Böen lassen uns wie Betrunkene durch die Gegend torkeln. Uns steht eine weitere Tyrolesa über den gleichen Fluss wie am zweiten Tag bevor, welche uns aber nach der unproblematischen ersten Überquerung kein Kopfzerbrechen mehr macht. Aber wir täuschen uns… Das eine Seil ist gerissen, sodass wir die Rucksäcke nicht separat transportieren können. Kurzherum schnallen wir die Rucksäcke an und überqueren den Fluss vollbepackt. Irene ist als erste an der Reihe. Schon nach kurzer Zeit muss sie sich ins Seil hängen um eine kurze Verschnaufpause zu machen. Das Gewicht des Rucksacks zieht den Oberkörper unbarmherzig nach unten und die Rolle, an der wir uns festmachen, bewegt sich nur extrem schwerfällig. Keuchend vor Anstrengung und mit Armen wir Pudding schaffen wir es doch noch an die andere Seite, wo wir eine Pause einlegen und uns eine Stärkung gönnen. Kurz darauf erreichen wir die Bahia Tunel. Dieser Parkplatz an einer Anlegestelle ist der eigentliche Endpunkt des Treks, doch es herrscht gähnende Leere und somit kaum Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit. Die letzten 8km bis nach El Chaltén schaffen wir auch noch zu Fuss. Denken wir. Als wir nach einer halben Stunde auf ein Plateau gelangen, trifft uns der Wind wie ein Faustschlag ins Gesicht, sodass wir beinahe stehen bleiben. Das Vorwärtskommen wird immer strenger und langsam beginnt es zu regnen. Wir gelangen zu einer noblen, etwas abgelegenen Estancia. Alfredo, der Receptionist bietet uns an, uns für wenig Geld nach El Chaltén zu fahren – ein Angebot, welches wir sofort ergreifen. Nach einer unglaublich wohltuenden Dusche gönnen wir uns Bier und Steak, bzw. Burger und lassen diese wundervollen Tage noch einmal Revue passieren.
Fazit
Ja, der Huemul-Trek ist anstrengend und die vielen Herausforderungen, vor die wir gestellt wurden, haben manchmal sowohl physisch als auch psychisch an uns gezehrt. Trotzdem gehören diese hier zum Abenteuer dazu und waren wohl insgeheim auch das, was wir gesucht haben. Die fantastischen und unberührten Landschaften, die wir zu Gesicht bekamen, zählen zu den schönsten und ursprünglichsten, die wir bisher erleben durften. Dass wir diese Tage bei bestem Wetter verbringen konnten, ist noch das Tüpfelchen auf dem «i».
El Chaltén
El Chaltén ist ganz klar eines der touristischen Hauptziele in Patagonien. Im Ort laufen Touristen aus aller Welt in Daunen- oder GoreTex-Jacken, mit Trekkingausrüstung, Bouldermatten oder Seil und Pickel auf dem Rücken herum. Man findet auch kaum Einheimische im Ort. Das kleine Dorf ist noch sehr jung, entstanden erst 1985, gegründet um die die Grenzansprüche gegenüber Chile zu festigen. Dann aber vor allem dank der Nähe zu der atemberaubenden Berglandschaft um Cerro Torre und Fitz Roy und des damit aufkommenden Wander- und Bergsteigertourismus gewachsen. Der Name bedeutet “Rauchender Berg”, so hatten die Tehuelche-Indianer den Fitz Roy genannt, weil dieser im Gipfelbereich oft von Wolken umgeben ist. Wir haben fast zwei Wochen in und um El Chaltén verbracht, denn trotz der Massen kann man ausserhalb der “0815-Wanderrouten” Einsamkeit und Ruhe in atemberaubender Berglandschaft geniessen. Das ist auch der Grund, warum El Chaltén auf keiner Patagonien-Reise fehlen darf. Uns hat es sehr gut gefallen und wir werden sicher noch einige Male an diese eindrücklichen Berge zurückdenken. Nun gehen wir weiter entlang einem der grössten Nationalpärke Argentiniens, dem Parque Nacional Los Glaciares, Richtung Süden nach El Calafate. Irene ist auch wieder voll ausgerüstet, vielen Dank an die Kuriere Sara&Marco!
Tipps für den Huemul-Trek
Ausrüstung: Neben der normalen Campingausrüstung wird ein Klettergurt, 2 Aluminiumkarabiner und 1 Stahlkarabiner für die Flussquerung benötigt. Ein Seil (20m) kann auch nützlich sein, um die Rucksäcke separat zu transportieren oder den Stahlkarabiner auf die andere Seite zurück zu bringen. Zwar sollten jeweils zwei Seile am Schlitten angebracht sein, bei uns war jedoch eines bei der zweiten Tyrolesa gerissen. Die Ausrüstung kann vor Ort gemietet werden. Reservationen sind nicht möglich, was die ganze Angelegenheit etwas verkomplizieren kann. Wir konnten nur mit viel Glück und Geduld noch zwei Klettergurte ergattern… Wir können Mountaineering Patagonia auf jeden Fall als Vermiet-Station empfehlen. Dort erhält man gute Informationen und wir konnten unser Gepäck dort deponieren.
Allgemein: Der Trek ist streng und aufgrund der Flussüberquerungen und den steilen Aufstiegen nicht für Jedermann zu empfehlen. Die Landschaft ist jedoch absolut atemberaubend und der Weg auch in der Hochsaison relativ einsam. Informationen zum Trek und zum Zustand erhältt man im Gebäude der Nationalparkbehöre in El Chaltén, sie haben sogar eine Video-Präsentation in der Alles erläutert wird.
Tipps für El Chaltén
Wir halten uns kurz: Unterkunft in der Hochsaison unbedingt frühzeitig reservieren und mindestens einmal in der “La Wafleria” eine feine Waffel essen! Nicht vergessen darf man die zahlreichen Mikrobrauereien im Ort.